Der Bürgermeister informiert
Kommunale Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger haben in den vergangenen zehn Jahren fast ausschließlich Krisen erlebt und immer in gesamt-staatlicher Verantwortung gehandelt: Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation, Wirtschaftskrise, Klimawandel. Diese Krisen müssen zeitgleich von den Städten und Gemeinden auf örtlicher Ebene und oft-mals vom selben Personal gelöst werden. Zugleich stellen wir jedoch fest, dass über die letzten Jahre und Jahrzehnte von Bundes- und Landespolitik immer neue Leistungen und Rechtsansprüche zugesagt wurden und das Maß an Bürokratie zwischenzeitlich zu einer Komplexität führt, die kaum mehr zu bewältigen ist. Die Grenze der gesamtstaatlichen Leistungsfähigkeit ist überschritten. Die Belastungsgrenze in den Rathäusern ist erreicht. Allein die Sicherung des Ist-Zustands des kommunalen Leistungsportfolios erfordert heute einen Kraftakt. Wir können die großen Zukunftsaufgaben wie Klimaschutz, Digitalisierung und nachhaltige Daseinsvorsorge nicht mit den bisherigen politischen Antworten hinbekommen. Es braucht eine klare und ehrliche Analyse der aktuellen Lage, eine realistische Bewertung des Leistbaren sowie eine neue Festlegung des Erforderlichen.‘
Die Pandemie, der Ukraine-Krieg mit derzeit rund 120 von dort geflüchteten Menschen allein in Kenzingen, dazu Energieknappheit und Klimakrise, Lieferengpässe, Fachkräftemangel, Inflation und steigende Zinsen: Das sind die Vorzeichen, unter denen der am 17. November vorgelegte Entwurf des Haushalts für das kommende Jahr steht.
Allein bilden sich Ende 2022 die genannten Risiken noch nicht ab, vielmehr zeichnet sich ein gefährlich trügerisches Bild. Das zu Ende gehende Jahr entwickelte sich sowohl auf der Ertragsseite als auch in Sachen Liquidität positiv, wobei letztere allerdings zu einem guten Teil aus gebundenen Finanzmitteln besteht, vorgehalten wird für Vorhaben, die zwar finanziert, aber noch nicht kassenwirksam umgesetzt geworden sind.
Auch die Prognose für 2023 vermittelt einen besseren Eindruck als die derzeitigen Umstände dies erwarten lassen. Der Haushaltsentwurf weist einen ausgeglichenen Ergebnishaushalt aus, der Ressourcenverbrauch wird vollständig erwirtschaftet und den gesetzlichen Anforderungen in Gänze Rechnung getragen. Dem Anstieg der Einwohnerzahl folgt eine verbesserte Steuerkraft mit höheren Finanzzuweisungen. So werden nach jetziger Erkenntnis die Steigerung der Energiepreise, die Tarifabschlüsse und die allgemeine Preissteigerung ausgeglichen. Für unwägbare Risiken der Planung kann sich die seriöse Finanzwirtschaft der letzten Jahre auszahlen, infolge derer seit 2016 aus Überschüssen der Ergebnishaushalte 13,5 Mio. € erwirtschaftet wurden.
Der Haushaltsentwurf 2023 sieht bei 30,65 Mio. € Erträgen und 30,43 Mio. € Aufwendungen noch einen Überschuss der Ergebnisrechnung von rund 220.000 € vor. Dabei dreht die Stadt zum Jahresbeginn nicht an der Gebührenschraube, Wasser und Abwasser werden im Gegenteil preiswerter. Allerdings steht im kommenden Jahr die Neufestsetzung der Betreuungsgebühren an.
Aus den erwirtschafteten Abschreibungen, also dem Wertverzehr des Anlagevermögens, entsteht ein Zahlungsmittelüberschuss von 2,2 Mio. €, der mit den Investitionszuweisungen von Bund und Land sowie Erlösen aus Grundstücksveräußerungen in Höhe von zusammen 3,1 Mio. € sowie einer Netto-Kreditaufnahme von 600.000 € für die anstehenden Investitionen Verwendung findet. Bei Gesamtinvestitionen von 8,6 Mio. € wird sich die Liquidität der Stadt um 2,7 Mio. € vermindern, danach verbleiben liquide Mittel zum Jahresende 2023 in Höhe von 4,3 Mio. €. Die Verschuldung der Stadt steigt durch die erste Netto-Kreditaufnahme seit 2011 auf 10,8 Mio.€ oder umgerechnet 1.000 pro Kopf. Die Werte zeigen: Falls Rezession und Inflation stärkere Einbußen bringen als derzeit planbar, stehen Rücklagen zum Ausgleich zur Verfügung.
Als größte Investitionen sind veranschlagt der Neubau des Betriebshofs mit einem Teilbetrag von 2 Mio. €, der Erwerb von Grundstücken für 1,5 Mio. €, die Erneuerung der Kanalisation in der Breslauer Straße mit 830.000 €, für sonstige Kanäle und die Kläranlage 800.000 €, das Industriegebiet West IV mit Teilbetrag von 800.000 €, die Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf LED mit 600.000 €, der Forstbetriebshof im Bleichtal mit einer Rate von 500.000 € sowie der Hochwasserschutz in Nordweil und Bombach mit einem Teilbetrag von 450.000 €. Auf diese Maßnahmen entfallen zusammen 7,48 Mio. € oder umgerechnet 87 % der Investitionen im Jahr 2023.
Sorgen bereitet die mittelfristige Entwicklung, denn spätestens ab 2025 sind negative Ergebnisse im laufenden Betrieb zu erwarten. Spätestens dann müssen in der Folge die Erträge erhöht bzw. die Aufwendungen verringert werden und werden im laufenden Betrieb die Standards zu prüfen sein. Bei Umsetzung der beschlossenen oder aus der Mitte des Gemeinderates beantragten Investitionen ist zudem ab 2025 eine erhebliche Neuverschuldung unvermeidlich. Also gilt es abzuwägen, ob das Investitionsprogramm der nächsten Jahre eine erhebliche Neuverschuldung in der Folge rechtfertigt. Neben den Standards wird dabei mehr als bisher zu unterscheiden sein zwischen Pflichtaufgaben wie Feuerwehr, Schulen oder Kindertagesstätten, auch Hochwasser- und Klimaschutz, und freiwilligen Aufgaben, auf die im Zweifelsfall verzichtet werden kann.
Die Herausforderungen der kommenden Jahre werden die Einwohnerschaft, den Gemeinderat und die Verwaltung erheblich fordern. Wenn sich Kenzingen weiter gedeihlich entwickeln soll, muss mit gebündelten Kräften an einem Strang gezogen, gemeinwohl- und ergebnisorientiert gearbeitet werden. Dabei ist sachgerecht zwischen notwendig und wünschenswert zu unterscheiden. Zusätzlichen Projekte und Investitionen, gar neuen Aufgaben sollte ein Finanzierungvorschlag beigefügt sein; sie sind ohne Kompensation nur mit zusätzlichen Belastungen der Einwohnerinnen und Einwohner, auch in Folge höherer Neuverschuldung, umsetzbar.
Der Haushaltsentwurf für 2023 und die Prognose für die nächsten Jahre zeigt, dass Kenzingen sich weiter entwickeln und die Stadt ihre Aufgaben auch künftig vollumfänglich erfüllen kann. Er zeigt aber auch: Besondere Achtsamkeit, auch Genügsamkeit werden in näherer Zukunft durchaus hilfreich, ja vonnöten sein.
Denn die Belastungsgrenze in den Rathäusern ist erreicht, allein die Sicherung des Ist-Zustands des kommunalen Leistungsportfolios erfordert heute einen Kraftakt, meint auch
Ihr Matthias Guderjan
Bürgermeister