Der Bürgermeister informiert
Eine solche Politikverdrossenheit stellen wir aktuell immer mehr fest. Noch schlimmer, die Menschen verlieren zusehends den Glauben und das Vertrauen in den Staat. Ein Grund dafür sind ohne jeden Zweifel die Dauerkrisen, die nunmehr seit Jahren unseren Staat belasten: Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Corona-Pandemie, Klimawandel und nun ein Krieg in Europa. Aber das ist eben nicht der einzige Grund. Ein weiterer ist die staatliche Überregulierung. Das stetige Ausweiten von Ansprüchen, das stetige Erhöhen von ohnehin schon hohen Standards, das Ziel eines einzelfallgerechten Fürsorgestaats. Ich glaube, ich verrate kein Geheimnis: Das kann kein Staat leisten…Die Zeiten von zusätzlichen Standards, Rechtsansprüchen und staatlichen Leistungszusagen müssen vorbei sein! Auch die Menschen spüren, dass unser Staat zunehmend an seine Grenzen kommt. Nach einer Umfrage vom September 2023 sind zwischenzeitlich 55 Prozent der Menschen mit unserer Demokratie unzufrieden. Das muss ein Alarmsignal für alle sein, die hierzulande politische Verantwortung tragen. Und ich will ganz deutlich sagen: Für uns Kommunen ist dies ein Alarmsignal…Die Summe der staatlichen Leistungsversprechen übersteigt die staatliche Leistungsfähigkeit – und die Menschen merken das."
Lesens-, bedenkenswert, die Ausführungen des Präsidenten des Gemeindetages Baden-Württemberg Steffen Jäger am 26.10.2023 anlässlich des 50jährigen Bestehens des Gemeindetages in Villingen-Schwenningen. Unter diesen Vorzeichen steht der Haushalt der Stadt Kenzingen für 2024.
Wo steht die Stadt finanziell vor dem Jahr 2024, nach zwei Jahren Corona-Pandemie, nach bisher 20 Monaten Ukraine-Krieg, im Zeichen aktuell der fürchterlichen Vorgänge in Gaza, einer erneuter Geflüchtetenwelle, der Inflation, der Klimakrise und des Fachkräftemangels?
Die Finanzlage Ende 2023 bildet nicht die Wirklichkeit und schon gar nicht die Zukunft ab. 2023 wird besser als geplant abschließen. In 2024 jedoch kommt die Zeitenwende auch finanziell in Kenzingen an. Der Haushaltsentwurf weist ein Defizit aus, die Erträge reichen nicht für die Aufwendungen. Die Umlageverpflichtungen steigen gegenüber 2023 um 17,6 %, die Personalaufwendungen um 11,0 %, die Sachaufwendungen - Stichwort Energiepreise - um 15,3 %. Die Erträge steigen mit 2,8 Mio. Euro oder 9,3 % nicht in gleichem Maße. In den zuletzt guten Jahren wurden zwar Rücklagen erwirtschaftet, die es noch erlauben, laufende Defizite ausgleichen, ohne die Einwohnerschaft zusätzlich zu belasten oder Standards zu reduzieren. Wenn diese Reserven aufgebraucht sind, sind negative Ergebnisse im laufenden Betrieb zu erwarten.
Dann werden die Erträge erhöht, die Aufwendungen gekürzt und im laufenden Betrieb die Standards zu hinterfragen sein. Im Finanzhaushalt ist spätestens ab 2026 und nach Abbau der Bugwelle von nicht abgearbeiteten Vorhaben eine erhebliche Neuverschuldung unvermeidlich für den Fall der Umsetzung der bereits beschlossenen oder von Fraktionen beantragten Vorhaben.
Der Gemeinderat wird über kurz oder lang zu entscheiden haben, ob das beschlossene Investitionsprogramm so leistbar ist, ob diese Investitionen eine erhebliche Neuverschuldung rechtfertigen. Dabei wird zu unterscheiden sein in Pflichtaufgaben wie Feuerwehr, Schulen, Kitas, Hochwasserschutz, natürlich auch Klimaschutz, und freiwillige Aufgaben wie Kino, Halle oder Ausübung von Vorkaufsrechten. Zusätzliche dauerhafte Aufwendungen im laufenden Betrieb und weitere, bisher nicht beschlossene, zusätzliche Investitionen werden der Kompensation an andere Stelle bedürfen - finanziell und personell.
Unter diesen Vorzeichen sollte schon mit Blick auf 2024 über die 32 Anträge im Vorfeld der Etatberatungen befunden werden, die sämtlich auf zusätzliche Ressourcen abzielen und in keinem Fall mit Kompensationsvorschlägen erfolgt sind. Merke: Zusätzliche Investitionen belasten künftige Generationen nicht nur in Gestalt von Abschreibungen, sondern auch durch ihre Betriebskosten und das erforderlich Personal.
Das ordentliche Ergebnis ist 2024 mit minus 700.000 € veranschlagt, in 2023 wird hier noch ein Überschuss von bis zu 1 Mio. € erwartet. Die Planung sieht 33,5 Mio. € Erträge und 34,2 Mio. € Aufwendungen vor. Die Erträge steigen gegenüber 2023 um 6 %, die Aufwendungen um 12,5 %. Einzahlungen aus Investitionstätigkeit von 3,1 Mio. € stehen Auszahlungen für Investitionen von 5,5 Mio. € entgegen. Damit einher geht ein Rückgang der Liquidität, verbleiben der Stadtkasse liquide Mittel Ende 2024 von 6,3 Mio. € - für geplante, aber noch nicht verwirklichte Vorhaben. Die Verschuldung bleibt in 2024 bei 10,8 Mio. € oder umgerechnet 983 € pro Kopf. Wichtig: Die Stadt dreht zum Jahresbeginn 2024 nicht an der Gebührenschraube.
Größte Investitionen in 2024 sind der Betriebshof mit einer Rate von 1,0 Mio. € bei 7,9 Mio. € Gesamtkosten. Dazu der Erwerb von Grundstücken für 1,0 Mio. €., rund 500.000 € für das ABC-Messfahrzeug, Digitalfunk und einen Mannschafstransportwagen. Die Abwasserbeseitigung wird mit 780.000 € veranschlagt, für Forst Friedhof, Umweltschutz und Hochwasserschutz stehen 1,2 Mio. € bereit.
Kenzingen hat die guten letzten 13 Jahre genutzt um sich zu entwickeln. Stichworte Gerätehaus, Franziskanergarten, Hochwasserschutz Nordweil, dazu Baugebiete Kapellenäcker, Breitenfeld und Industriegebiet West IV. Dauerthemen sind der Klimaschutz, die Energiewende und die Digitalisierung sowie die Ganztagesbetreuung und weitere Betreuungsplätze. Dazu die Projekte wie Halle Hecklingen, das Wohnbaugebiet Breitenfeld V und das Sanierungsgebiet Südwestliche Altstadt.
Wichtig erscheint: Daseinsvorsorge, Daseinsfürsorge geht immer vor Bespassung der Einwohnerschaft und Übernahme an sich privater Pflichten durch die Stadt. Die Lage ist ernst: Nach Jahren der Prosperität erlöst Kenzingen 2024 die laufenden Aufwendungen nicht mehr. Corona, Geflüchtete, Überregulierung bringen die Beschäftigten an ihre Grenzen. Allein die Sicherung des Ist-Zustands erfordert einen gemeinsamen Kraftakt.
Der Haushaltsentwurf 2024 ist eingebracht und steht online zur Verfügung. Dank hierfür gilt der Verwaltung insgesamt, zuvorderst dem Fachbereich 1 mit Kämmerer Markus Bührer. Dank allen Mitarbeitern für ihren außerordentlichen Einsatz sowie natürlich den Stadträtinnen und Stadträten.
Zuletzt und ungeachtet der geschilderten kommunalen Herausforderungen: Wichtiger ist, von der Polarisierung, von der allgegenwärtigen Empörung, vom fortwährenden Jammern wegzukommen und die Rückbesinnung auf die Grundwerte Demokratie, Selbstbestimmung, Eigenverantwortung, Frieden und Freiheit, meint
Ihr Matthias Guderjan
Bürgermeister